Sonntag, 30. April 2017

30.04.2017

Ok, wir sind auf 1300m, aber als ich heute morgen die Läden aufmache, traue ich meinen Augen nicht, es schneit!!! Gestern haben wir uns noch mit LSF  50 gegen die Sonne geschützt und heute so was. Aber was soll's, der Weg liegt vor uns und will gegangen werden. 

Und so verabschiedet O Cebreiro uns tatsächlich mit -3 Grad und dichtem Schneefall.





Durch das schlechte Wetter ist auch der Kammweg, der über Wiesen und Felder führt und der einen sensationellen Ausblick haben soll, leider unpassierbar. So bleibt uns nichts anderes übrig, als die Strasse entlang bis nach Linares zu laufen. 




Dort halten wir bei der leider verschlossenen Kirche im kleinen Vorraum leidlich geschützt unseren Morgenimpuls. Weiter geht es bei dichtem Schneetreiben hinauf auf dem Rochuspass, wo eine überlebensgroße Pilgerstatue steht





Dieser moderne Rochus im mittelalterlichen Gewand scheint sich gegen Wind und Sturm zu stemmen. Das ist auch heute noch, wie wir gerade am eigenen Leib erfahren, in dieser Gegend notwendig.

 
Unser australischer Mitpilger stellt sich als Fotomodell zur Verfügung 😊. Der nächste Ort, Hospital da Contesa bietet uns eine willkommene Gelegenheit, dem Wetter zu entkommen. 





Als wir die Bar verlassen, scheint tatsächlich kurzzeitig die Sonne. Wir passieren die kleine Kirche des Ortes mit der Pilgermuschel im Portal.




Es scheint nun tatsächlich eine halbe Stunde die Sonne, bevor es wieder heftigst zu schneien und wehen beginnt. Über die Kammstrasse erreichen wir den Alto do Poio, mit 1337m der höchste Punkt der diesjährigen Etappe. Das Gebirgsmassiv, zu dem er gehört, ist Wasserscheide zwischen dem kantabrischen Meer und dem Atlantik. 



Wir laufen heute gegen Wind, Schnee und Hagel an, das ist wirklich heftig. Der Weg führt uns nun hinunter über das Dorf Fonfria, welches auf 1280m liegt. Weiter geht's nach Biduedo, nun stetig abwärts. Da sich noch ein ordentliches Gewitter dazugesellt hat, stellen wir uns wiederum im Vorraum der leider verschlossenen Kirche unter.  Wir singen "Schneeflöckchen, Weissröckchen" und "Wann wird's mal wieder richtig Sommer" und warten damit ab, bis sich das Schlimmste verzogen hat. 

So hat jeder Pilger seine Methode, den Naturgewalten zu trotzen. Unser australischer Mitpilger, den wir heute Mittag getroffen haben, hat sich, in Ermangelung von Handschuhen, zwei Paar Socken über die Hände gezogen. Und ein anderer Pilger nutzte eine dicke Plastiktischdecke, in die er ein Loch für den Kopf geschnitten hatte, als Schnee- und Windschutz. Ein Gürtel hielt alles an der richtigen Stelle. Und ... es funktionierte, er sah ziemlich zufrieden aus. 
 
Steil geht es nun bergab in Richtung Triacastela, unseren Tagesziel. Da wir immer tiefer kommen, lässt der Schnee nach. Wir sehen den ersten Horreo auf unseren Weg, die typischen Getreidespeicher Galiziens.



Diese traditionellen Speicher ruhen auf Pfeilern, um ihren Inhalt vor Feuchtigkeit und Nagetieren zu schützen.  Die Pfeiler sind aus Stein, oben mit einer vorspringenden Platte abgeschlossen, um auch kletterfähige Nager abzuhalten, die Speicher selbst sind aus Holz und dieser hat auch ein Reetdach , wie wir es von O Cebreiro kennen.

Wir laufen weiter stetig bergab und plötzlich erwischt uns zu guter Letzt auch noch ein ordentlicher Hagelschauer. 





Wir sind wirklich froh, als die ersten Häuser von Triacastela in Sicht kommen. Bald darauf haben wir den Ort erreicht. An der Jakobuskirche halten wir unser Abendgebet.






Auch in diesem Städchen muss Jakobus für alles mögliche herhalten. 

Für heute ist es genug. Wir beziehen unsere Zimmer und lassen beim gemeinsamen Abendessen den Tag Revue passieren.

Warum in diesem Post die Schriftgrösse ständig wechselt, kann ich von hier aus nicht feststellen. Sorry 🤗



Abendgebet

Das Licht der Ferne verklärt.
Über dem See ragen seufzende Laternen.
Alles im Saum der träumenden Zuversicht.

Es lockt die Nacht mit freundlicher Umarmung.
Über dem Mondlicht treibe ich mit den Sternen weiter
und lege  vertrauend mein Gebet
in die Hände des Himmels.


Luitgard Renate Kasper-Merbach

Seid behütet
Eure Karin 

29.04.2017

Um 8.00 Uhr stehen wir alle in Villafranca del Bierzo in den Startlöchern, um unseren Weg zu beginnen. Er führt uns in Gesellschaft mehrerer anderer Pilger hinaus aus der Stadt. Gleich oberhalb an einer geschützten Stelle halten wir unseren ersten Morgenimpuls. Wir singen ein neues Lied und bitten Gott um seinen Segen für diesen Tag. Dann starten wir, der Weg führt uns an einer Strasse entlang, die dank einer Autobahnbrücke nur sehr wenig befahren ist. Alle, die Hape Kerkelings Buch gelesen haben, wissen, dass das bis vor wenigen Jahren ein gemeingefährliches Unterfangen war. Wir sehen noch die alte Strassenmarkierung und erinnern uns mit Schaudern an das letztjährige Pilgerlaufband. Wir sind froh, dass der Verkehr über uns und nicht neben uns fährt.









Die Betonblöcke sind zwar nicht schön, aber wir sind froh, dass sie da sind. Der Weg führt uns lange diese Strasse entlang, bis wir sie endlich verlassen können und -zwar immer noch auf asphaltierter Strasse - durch kleinere Ortschaften kommen. Unseren ersten Stempel holen wir uns im kleinen Weiler Pereje.



Heute ist Pereje recht verschlafen, aber das kleine Örtchen hat eine reiche Geschichte. Hier gab es früher ein Hospiz, das Pilgern gerade in den schneereichen Wintern wertvolle Dienste leistete. Es war abhängig von O Cebreiro, seit es 1118 von der Königin Urraca dorthin übertragen wurde. Eigentlich aber beanspruchte Villafranca das Gebiet und so kam es zu langen und unerbittlichen Streitigkeiten darum.  Erst die höchste Instanz, Papst Urban II, entschied den Streit zu Gunsten von O Cebreiro, die dann bis ins 19. Jh. blieben. 
Heute mutet das kleine Örtchen mittelalterlich, aber doch sehr verschlafen an. 

Der Weg führt zurück an die A6, der wir für weitere 3 km folgen und dann wieder per Abzweig nach Trabadelo kommen. Am Ortsausgang führt der Weg wieder hinüber zur Strasse und wir unterqueren ein weiteres mal die Autobahn.  Kurz darauf erreichen wir La Portela del  Valcarce.  Hier finden wir eine schöne Bar und den ersten Cafe von Letche in diesem Jahr. Ein Jakobuspilger gibt uns die Entfernung nach Santiago mit 190 km an. 





Ausserdem stellen wir zu unserer Freude fest, dass die winzig kleine Kirche des Ortes geöffnet ist.  Bisher waren immer alle Kirchen fest verschlossen.  Natürlich besuchen wir die Kirche und stimmen ein Marienlied an.






Über Ambasmestas erreichen wir Vega del  Valcarce und danach Ruitelan. Beide Ortschaften durchqueren wir, da wir vor einer längeren Pause den grössten Teil der 29 km, die wir heute zu gehen haben, hinter uns bringen wollen. Mittlerweile führt der Weg stetig, aber moderat, nach oben.

Nach ca. 19 km erreichen wir Las Herrerias und da es dort eine sehr einladende Gastwirtschaft mit den schönen Namen Paraiso gibt, die dazu noch eine schöne Terasse hat, halten wir dort unsere Mittagspause. 

Früher gab es hier viele Schmieden, worauf der Name hinweist.  Gut ausgeruht starten wir in Richtung La Faba. Nun stehen die zwei grossen Anstiege des Tages an. 




Zuerst erreichen wir Hospital. Papst Alexander III  bezeichnet ihn in einer Bulle aus dem Jahr 1178 als "Hospital de los Ingleses" also als Hospiz der Engländer. Ein Baum nimmt die Grüsse, Gebete und Wünsche der Pilger auf. In allen möglichen Sprachen finden sich Texte auf den kleinen weißen Zettelchen, ein weiteres Indiz dafür, wie viele Nationen hier auf dem Weg sind.


Es geht stetig und gut ausgeschildert bergauf nach La Faba, was "die Bohne" bedeutet.







In der kleinen Kirche San Andres halten wir unser Abendgebet. Da noch 400 Höhenmeter zu bewältigen sind, wollen wir sicher dann in O Cebreiro erstmal ins Hotel. Während des Aufstiegs verlassen wir die Provinz Kastilien, die auch "das noble Land des Weizens" genannt wird und erreichen nun endlich Galizien. 



O Cebreiro ist winzig und doch einer der Höhepunkte auf dem ganzen Camino Frances. Zwischen zwei Königreichen liegt es auf 1300m und seine uralte Geschichte geht bis in die Frühzeit zurück. Schon im 9. Jh fanden hier Pilger Unterschlupf. Wir besuchen die Kirche Santa Maria la  Real und sie empfängt uns mit grosser Ruhe.  Im Seitenschiff sehen wir den wundertätigen Kelch, der untrennbar mit der Geschichte des Ortes verbunden ist. 





Um das Jahr 1300, an einem kalten Wintermorgen mit soviel Schnee, dass alle Strassen unpassierbar waren, kämpfte sich ein Schäfer aus Barxamajor bis hinauf nach O Cebreiro zur Messe. Er war der einzige Gläubige und der Mönch, der die Messe zelebrieren sollte, ärgerte sich, weil er wegen eines Gläubigen die Messe halten sollte. Er bezeichnete den Schäfer als dummen Menschen, der wegen einer Messe so eine Strapaze auf sich genommen hatte.  In diesem Augenblick verwandelte sich die Hostie in Fleisch und der Kelch füllte sich mit Wein.  Kelch und Hostienteller sind noch zu sehen, beide aus dem 12. Jh.  Viele Sagen ranken sich um diese Geschichte. So soll das Jesuskind der Marienstatue in der Kirche bei diesem Geschehen die Augen aufgerissen haben und seitdem sind sie geöffnet. Und als  Königin Isabella die beiden Reliquien mit nach Madrid nehmen wollte, weigerte sich ihr Maulesel und ging keinen Schritt, so blieben die Sachen da. Auch Richard Wagner soll hier gewesen sein und der Ort soll ihn zur Oper "Parzifal" inspiriert haben. 








Die Pallozas, die typischen reetgedeckten Häuser gehen zurück in prähhistorische Zeiten. In einigen wurden Museen eingerichtet, die zeigen, wie früher die Menschen hier gelebt haben. Bewohnt werden nur noch wenige davon. 


Wir erfahren, dass um 19 Uhr Messe gefeiert wird. Deshalb legen wir die Zeit fürs Abendessen auf 20 Uhr, um vorher noch zum Gottesdienst zu gehen. Wir beziehen unsere Zimmer und treffen uns in der kleinen Bar mitten im Ort, um noch ein Klara miteinander zu trinken.  Als ich dann wieder in mein Zimmer will, lässt es sich nicht öffnen. Jutta und ich rütteln und ruckeln, leider ohne Erfolg.  Unsere Bemühungen und wohl auch der damit verbundene Lärm rufen unseren Zimmernachbarn auf den Plan.  Er kommt aus Sydney und wir werden ihn noch öfters sehen. Er probiert es auch und ruft bei uns mit seinem augenzwinkernden Vorschlag, es doch mit der John-Wayne-Methode, also mit Anlauf und der Schulter dagegen zu rennen, grosse Heiterkeit hervor. Ich hole nun dann doch die Wirtin, sie probiert es, es geht nicht und so holt sie ihren Mann.  Der probiert es auch vergeblich und holt seinerseits noch einen anderen Mann. Langsam wird's eng auf dem Flur.  Der Mann schaut und marschiert wortlos wieder ab. Kurz darauf kommt er mit einem Werkzeugkasten wieder. Die Versammlung zerstreut sich, bis nur noch er und ich übrig bleiben. In bester spanisch -deutscher Teamarbeit schrauben wir erst die Türklinke und dann das Schloss heraus. Als sich die Tür noch immer nicht öffnen lässt, tritt er erst mal feste dagegen, das bringt leider nichts.  Mit Hilfe einer grossen Zange geht dann endlich die Tür auf. Er schraubt alles wieder zusammen.  Ich bitte um einen Probelauf, ich im Zimmer, er davor. Die Tür ist zu und lässt sich wieder nicht öffnen. Ich klopfe und klopfe, er aussen auch, bis ihm anscheinend ein Licht aufgeht, dass ich die Tür nicht öffnen kann. Also das ganze Spiel nochmal von vorne und unter Einsatz aller Kräfte und etwas Öl bringen wir den Streikposten dazu, seinen Dienst ordentlich zu verrichten.

Jetzt wird es aber höchste Zeit, ich dusche und mache mich fertig für den Gottesdienst  danach essen wir alle gemeinsam zu Abend und lassen den ereignisreichen Tag ausklingen.



Lass mich langsamer gehen, Herr.

Entlaste das eilige Schlagen meines Herzens
Durch das Stillewerden meiner Seele.
Lass meine hastigen  Schritte stetiger werden
Mit dem Blick auf die weite Zeit der Ewigkeit.
Gib mir inmitten der Verwirrung des Tages
Die Ruhe der ewigen Berge.
Löse die Anspannung meiner Nerven und Muskeln
Durch die sanfte Musik der singenden Wasser,
die in meiner Erinnerung lebendig sind.
Lass mich die Zauberkraft des Schlafes erkennen,
die mich erneuert.
Lehre mich die Kunst des freien Augenblicks.
Lass mich langsamer gehen,
um die Blume zu sehen,
ein paar Worte mit einem Freund zu wechseln,
einen Hund zu streicheln
ein paar Zeilen in einem Buch zu lesen.
Lass mich langsamer gehen, Herr,
und gib mir den Wunsch,
meine Wurzeln tief in den ewigen Grund zusenken,
damit ich emporwachse
zu meiner wahren Bestimmung.

(Gebet aus Süd-Afrika)

Seid behütet
Eure Karin 

Freitag, 28. April 2017

28.04.2017



Es geht wieder los .... 

sogar fünf vor vier starten wir in Langensendelbach, um unsere letzte Etappe in Angriff zu nehmen. Wir sind halt mittlerweile eine eingespielte Truppe.  

Gestern Abend haben wir, wie schon in den letzten Jahren, in einem Gottesdienst um den Segen Gottes für unseren Weg gebeten. Auch viele Teilnehmer der Pfarrfahrt, die am nächsten Freitag auch nach Santiago kommt, liessen sich ansprechen und feierten mit uns und Pfarrer Roy gemeinsam Liturgie.

Ein letztes Mal fahren wir also nach München zum Flughafen, um die Reise nach Madrid und dann weiter nach Villafranca del Bierzo, dem Endpunkt unserer Etappe im letzten Jahr, anzutreten. In München schneit es, wir hoffen, dass uns dies, wie in so manchem anderen Jahr diesesmal auf dem Weg erspart bleibt. Schnell ist eingecheckt und genauso routiniert sitzen wir alsbald alle am Gate und warten aufs Boarding.





Der Flug hat etwas Verspätung, aber da wir heute nur noch den Weg nach Villafranca machen, ist das nicht weiter schlimm. Jose, unser Busfahrer steht bereit und wir treten die 6stündige Fahrt an. Die Stimmung ist gut, wir pfeifen, singen und geben Witze zum Besten. Irgendwann kommen wir in bekannte Gefilde, wir passieren Astorga mit seiner markanten Kathedrale und Ponferrada mit seiner Templerburg. Viele "wisst ihr nochs" und schöne Erinnerungen an die letzten Pilgerjahre teilen wir miteinander. 







Angekommen beziehen wir unsere Zimmer und lassen den Tag heute ausklingen. Camino duro - der harte Weg steht morgen an, 29 km lang und etliche Höhenmeter rauf und runter, bis wir dann hoffentlich alle gesund in O Cebreiro morgen Abend ankommen. Meine Devise: Schritt für Schritt und mit Gottes Hilfe schaffen wir das, so wie in den vergangenen neun Jahren auch.







"Gott, der Herr, sei vor dir
Gott, der Herr, sei vor dir,
um dir den richtigen Weg zu zeigen.
Er sei neben dir,
um dich in die Arme zu schließen und dich zu schützen.
Der Herr sei hinter dir,
um dich zu bewahren vor der Heimtücke böser Menschen.
Er sei unter dir,
um dich aufzufangen, wenn du fällst
und dir Kraft zu geben, wenn du am Ende bist.
Der Herr sei in dir,
um dich zu trösten, wenn du traurig bist.
Er sei über dir,
um dich jeden Augenblick mit seiner Nähe zu erfreuen.
So segne dich der gütige Gott.

Seid behütet
Eure Karin